Schön, dass ich dein Interesse geweckt habe und du neugierig auf meine Heldinnen bist.
... Warme Sonnenstrahlen streicheln Louises Gesicht. Ein leichter Wind weht durch das weit geöffnete Fenster und führt die leichte Meeresbrise, gemischt mit Kaffee- und Brötchenaromen mit sich. Sie hört Michel und Hedda tuscheln und leise lachen. Der klägliche Versuch, sie nicht wecken zu wollen, denkt sie. Nur Heddas Zigarettenqualm stört den frischen Morgenduft. Im Nachthemd tapert Louise nach unten in die Café-Küche. Michel steht tropfnass in seiner Badehose auf der Terrasse. Seine Augen strahlen vor Glück. Sein breites Grinsen verleiht ihm die Ausstrahlung eines kleinen Jungen im Spielzeugladen. Er schüttelt sich wie ein junger Welpe, die Tropfen fliegen bis zu Hedda und Louise.
„Danke für die erste, ungewollte Morgendusche!“, lacht Louise.
„Gern, du Murmeltier.“ Er schnappt sich sein Handtuch und verschwindet in Richtung Badezimmer.
„Hier Schätzelein, dein erster Kaffee. Ma kieken, wie lange unsere Principessa unter der Dusche braucht.“
„Du meinst wohl eher den Super Hero, der bei diesen Temperaturen freiwillig in die Ostsee springt?“ Louise schlüpft in Michels Sweatshirt-Jacke, die noch vom Abend über dem Stuhl hängt. Hedda zieht genüsslich an ihrer Zigarette. „Heute Morgen zog so schöne Meeresluft durch mein Zimmer“, Louise bläht ihre Nasenflügel auf, „bis sie sich mit deinem Qualm vermischte.“ Louise rümpft die Nase.
„Dit is mein Vergnügen! Ick lass dir deins ja auch und erinner dich nicht ständig daran, dass auf deiner Schokoladenpackung ‚wieder verschließbar‘ steht. Komm, lass uns lieber unsere Laster genießen.“ Sie zieht Louise zu sich in den Arm. „Haste denn gut geschlafen?“
„Ja, hab ich. Einfach himmlisch sich vom Wellenklang in den Schlaf wiegen und singen zu lassen und morgens davon geweckt zu werden. Ich hatte gar keine Lust aufzustehen“, gähnt Louise schamlos, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten. „Na warte, wenn du nich aus`m Bette kommst, denn quäl ick dich mit Nana Mouskouri.“ Hedda fängt an laut zu singen, ohne auch nur einen Ton zu treffen. „Juten Morgen, Juten Morgen, Juten Morgen Sonnenschein, diese Nacht blieb dir verborgen, doch du darfst nicht traurig sein. Juten Morgen Sonnenschein, weck mich auf und komm herein.“ Die letzten Töne gehen in ihrem kehligen Lachen unter.
„Ich weiß deine Gesangseinlage durchaus zu schätzen! Aber bitte, bitte, verschwende dich nicht an mich“, bettelt Louise und hält sich demonstrativ die Ohren zu.
„Undankbare Göre!“ Hedda knufft Louise leicht in den Oberarm. Louise entgleitet der Kaffeebecher, der Inhalt ergießt sich auf dem Küchenboden. Erschrocken reißt Louise die Augen auf.
„Oh jeh, das wollte ich nicht, ich bin so ungeschickt. Warte, ich mache das schnell sauber!“ Wie ein kopfloses Huhn sucht sie nach einem passenden Lappen.
„Nu beruhig dich mal, is doch nüscht passiert. Dit is `ne Küche, wat glaubste, wat der Boden schon alles gesehen hat?“
Louise ist den Tränen nahe. Michel, der soeben die Küche betritt, wird sofort von Hedda vereinnahmt. „Dich schickt der Himmel. Nimmste unsere Süße mal aus`m Schussfeld. Ick weiß nicht, was sie für `ne Panik schiebt.“
Er ist genauso irritiert wie Hedda. Er fragt sich, weshalb Louise so heftig auf eine Lappalie reagiert. Alt bewährt nimmt er sie in den Arm, streicht ihr sanft über den Rücken und murmelt die Zauberformel „Sch, Sch, Sch.“
Louise schluchzt wie ein kleines Mädchen. „Der Morgen hat so schön angefangen und ich habe ihn euch verdorben. Es tut mir so leid.“
Und schon kullern ihr Tränen über die Wangen.
„Sch, Sch, Sch“, wiederholt Michel. „In was für `nem Film bist du denn gerade unterwegs?“
Louises heftige Reaktion bringt auch Hedda ins Grübeln. „Is doch alles schon erledigt und die olle Tasse hat’s auch überlebt.“
Louise kuschelt sich Schutz suchend an Michel. Bilder von ihrem letzten Restaurantbesuch mit Paul steigen in ihr auf. Irgend so ein Nobel-Italiener in Hamburg. Der ‚Provinz-Italiener‘, wie Paul abfällig bemerkt, genügt seinen Ansprüchen schon lange nicht mehr. Sie wäre lieber zu „ihrem“ Giulio um die Ecke gegangen, hätte dem Pizzabäcker dabei zugesehen, wie er mehrere Böden in einem Arbeitsgang zubereitet. Louise fasziniert, wie geschickt ein Hefeball nach dem anderen zu einer kleinen Scheibe gezogen wird. Zwischen die vorbereiteten Kreise wird ordentlich Maisgrieß verteilt, bis acht übereinander liegen. Mit leicht angewinkelten Armen und Druck entstehen daraus riesige Pizzaböden, die dann nach Wunsch belegt werden. Die Stille zwischen ihnen wäre nicht peinlich, da das Stimmengewirr und Besteck-Geklapper jegliche Konversation unmöglich machen. Früher haben sie zärtlich Händchen gehalten, verliebte Blicke getauscht und brauchten keine Worte - heute haben sie sich kaum etwas zu sagen. Sie hätte sich keinen Kopf über ihre Garderobe machen müssen. Schwarze Jeans, T-Shirt, Jacke, fertig. Heute würdigt Paul sie kaum eines Blickes und wenn, dann ist er meistens abschätzig. Essengehen mit Paul bedeutet: Auftritt! Er erwartet, dass sie sich dementsprechend zurechtmacht. Kleid, Schmuck, kleine Handtasche und Kitten Heels. Louise fühlt sich damit schrecklich verkleidet. Sie ist nur froh, dass Paul kein Hüne ist, sonst müsste sie sich wahrscheinlich in High Heels zwängen. Paul verzieht schon das Gesicht, wenn sie ihr Essen bestellt. Pizza Frutti di Mare mit einer Extraportion Rucola und dazu ein kühles, alkoholfreies Weizen. Diese Kombination erinnert sie wehmütig an ihr Kennenlernen, an den Paul von früher. Wie man sich in so einem Restaurant eine Pizza bestellen könne und dann auch noch ein Bier dazu - beim Italiener! Für Paul völlig unverständlich. Sie wisse eben nicht, was Klasse ist. Wenn sie Paul dabei zusieht, wie er über seine Spaghetti herfällt, sich diese ach so hervorragende Köstlichkeit in den Mund schiebt, die Hälfte davon wie bei einem Kleinkind auf den Teller und das Hemd zurückfällt, dann fragt sie sich, wem es hier wohl an Klasse fehle. Wenn er dann auch noch schmatzend und Essen verspritzend vor sich hin sinniert, ist sie satt und wünscht sich zurück auf ihr Sofa. Und zwar allein. Mehrmals lässt er sich frische Trüffel über seine Pasta hobeln, wohl darauf bedacht, dass ihm genug Gäste beim Prahlen zugucken. Louise sieht darüber hinweg und hofft, dass das Spektakel friedlich zu Ende geht. Im Laufe des Abends hat Paul die Flasche Barolo allein geleert. Mit seinem zunehmenden Alkoholkonsum entspannt sich die Situation ein wenig. Sie haben sogar zusammen gelacht und sich Anekdoten von den Anfängen ihrer Beziehung erzählt. Louise sieht die Leichtigkeit des Anfangs durchblitzen, auch wenn der Paul von heute spöttisch auf den Paul von damals blickt. Sie möchte einfach nicht glauben, dass der Mann, in den sie sich verliebt hat, verschwunden ist. Gemeinsame Geschichten aus den letzten 15 Jahren gibt es kaum, da er beruflich oft unterwegs und die private Zeit wenig erquicklich war. Zum krönenden Abschluss bestellte Paul sich noch einen doppelten Grappa. In seinem Zustand konnte er nicht mehr fahren. Widerwillig überließ er ihr die Schlüssel für seinen Cayenne. Beim Anblick des dicht eingeparkten Wagens bemerkte Louise, wie ihr Körper die ersten Anzeichen eines Panikanfalls aussendete. Sie spürte, wie sich kleine Schweißperlen am Nacken sammelten und den Rücken hinunterglitten. Auch zwischen ihren Brüsten bemerkte sie, wie feuchte Rinnsale von ihrem BH aufgehalten wurden. Sie quälte sich einzig für Paul in ihren Shaper, obwohl er ihr die Luft zum Atmen raubt. Alles nur, weil sie hoffte, dass er hält, was die Werbung verspricht: eine definierte Taille, eine wohlgeformte Silhouette und Bauch und Brüste, die bei jeder Bewegung dieselbe Richtung einschlagen. Dank ihres Yoga-Kurses weiß sie sich zu helfen. Einatmen, Anhalten, Ausatmen. Deutlich ruhiger saß sie hinter dem Steuer und versuchte das Auto aus der Parklücke zu manövrieren. Vor, zurück; vor, zurück; noch einmal und noch einmal. Pauls hochroter Kopf drohte zu platzen, als er lospolterte: „Ich glaub es einfach nicht! Selbst du solltest es mit dem Fahrassistenten aus der Lücke schaffen!“ Während Paul weitere Tiraden auf Louise niederprasseln ließ, hatte sie den Wagen längst aus der Parkbucht gelenkt und fuhr Richtung Heimat.
„Wäre schön, wenn ich heute noch ins Bett käme! Du magst über Zeit ohne Ende verfügen, meine ist kostbar! Fahr zu!“
Dieser Kanon begleitete sie bis vor die Haustür. Louise entschuldigte Pauls Verhalten damit, dass er zu viel getrunken hatte, beruflich sehr stark unter Druck stand, sein nächster Deal am seidenen Faden hing, er ständig unterwegs war und nie zur Ruhe kam. Sie hoffte, dass alles besser werden würde, sobald er aufhört zu arbeiten und Entspannung in sein Leben einkehrt. Endlich zuhause angekommen, knallte er die Autotür zu. „Ich schlafe im Gästezimmer, da müffelt es nicht so nach Schweiß!“
Bei der Erinnerung an diesen Vorfall stellen sich ihr die Nackenhaare auf. Sie kann immer noch nicht glauben, dass das passiert ist, dass er sie ohne erkennbaren Grund so nieder gemacht hat. Dabei kann Paul so anders sein, aber nur, wenn alles nach seinen Vorstellungen läuft.
„Sch, Sch, Sch.“ Sie genießt Michels Hand, die ihr wiederholt über den Rücken streicht.
„Blaues Ei oder doch lieber rosa? Noch kannste wählen.“ Hedda unterbricht mit ihrer banalen Frage Louises Erinnerungen. Louise steuert auf den Platz mit dem Mädchen-Ei zu. Michel, ganz Gentleman, rückt den Stuhl vom Tisch ab und schiebt ihn ihr zurecht. Bevor er sich auf seinen Platz begibt, legt er ihr sanft die Hand auf die Schulter. Sein Lächeln gibt ihr das Gefühl, dass alles gut ist, dass sie gut ist …
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